Ist Ehrliches Mitteilen eine Sekte?

Kürzlich wurde ich gefragt, ob Ehrliches Mitteilen (EM) nach Gopal Norbert Klein eine Sekte ist, oder man sich einer solchen lokalen Gruppe bedenkenlos anschließen könne.

Deswegen habe ich mich mit der Thematik beschäftigt.

Definition einer Sekte und von Ehrlichem Mitteilen in der Gegenüberstellung

Um herauszufinden, ob Ehrliches Mitteilen eine Sekte ist, schauen wir uns erst einmal die Defintion einer Sekte an:

“Eine religiöse, philosophische oder politische Gruppe, die sich durch spezifische Lehrmeinungen, Praktiken oder eine starke Bindung an einen charismatischen Führer auszeichnet.”

Und ins Verhältnis stellen wir, wie sich Ehrliches Mitteilen versteht:

“In 2er, 3er oder Gruppen-Settings werden Gefühle, Gedanken und Körperwahrnehmungen auf eine eindeutig definierte und vorgegebene Weise ausgetauscht.”

Wir erkennen also, dass ein Teil der Defintion von Sekte mit dem Ehrlichen Mitteilen übereinstimmt:

  • spezifische Lehrmeinung und definierte Praktik

Zwei Faktoren sind nicht gegeben:

  • EM ist nicht religiös, philosophisch oder politisch

  • Es handelt sich nicht um eine zusammenhängende Gruppe

Und bei einem Faktor kann man unterschiedlicher Meinung sein:

  • Gopal Norbert Klein ist als Erfinder des EM ein charismatischer Mensch. Doch, ob er auch ein “Führer” im Sinne von Anführer, Leiter und bestimmender Autorität ist, kann man auf unterschiedliche Weise betrachten.

Wir kommen also noch nicht zu einem eindeutigen Ergebnis und deswegen schauen wir uns im Detail an, was eine Sekte auszeichnet und prüfen, ob EM in diese Kategorien fällt:

19 Attribute einer Sekte und Prüfung, ob Ehrliches Mitteilen darunter fällt

Starker charismatischer Führer

An dieser Stelle sind wir zuvor stehen geblieben: Ist Gopal Norbert Klein ein Führer?

Das kann man, wie bereits erwähnt, sicherlich so sehen. Zumindest hat er einen klaren Prozess vorgegeben. Doch bei genauerer Betrachtungsweise müssen zumindest Zweifel daran aufkommen:

  • EM findet im 2er, 3er oder in unabhängigen Gruppen mit einzelnen, autonomen Gruppenleitern statt

  • Lokale Gruppen werden nicht von Gopal selbst geführt

Auf der anderen Seite kann man argumentieren:

  • Die Gruppenregeln werden zumindest in Gruppen-Settings über die lokalen Gruppenleiter streng kontrolliert

  • Die offiziellen Regeln und Informationen werden nur von Gopal selbst definiert und veröffentlicht

Es gibt also keine eindeutige Antwort darauf, ob es wie in Sekten beim Ehrlichen Mitteilen einen “starken charismatischen Führer” gibt - Ansichtssache.

Exklusivität

Mitglieder einer Sekte glauben, dass sie Teil einer elitären, exklusiven Gemeinschaft sind. Sie sind der Überzeugung über einzigartiges Wissen oder besondere Fähigkeiten zu verfügen.

Dieser Punkt trifft beim ehrlichen Mitteilen eindeutig nicht zu. Das Ehrliche Mitteilen kann jedermann praktizieren und der Zugang zu einer lokalen Gruppe ist weder elitär, noch exklusiv.

Auch können Teilnehmern des EM kein einzigartiges Wissen oder besondere Fähigkeiten zugesprochen werden.

Isolation

Weiteres Hauptmerkmal einer Sekte ist, dass Mitglieder ermutigt, aufgefordert oder gar gewzungen werden sich vom Umfeld außerhalb der Sekte (Familie, Freunde, Bekanntschaften) zu distanzieren.

Das ist beim EM nicht der Fall.

Keine Kritik erlaubt

In Sekten ist es üblich, dass Kritik oder Zweifel am Führer oder den Praktiken nicht akzeptiert und ggf. sogar bestraft wird.

Beim Ehrlichen Mitteilen in einer lokalen Gruppe ist die Vorgabe, dass der Prozess exakt nach definierter Vorgehensweise durchgeführt wird. Und ein chronisches Abweichen davon kann durchaus zum Ausschluss führen.

Man könnte also argumentieren, dass es sich um sektenartiges Verhalten handelt. Genauso gut kann man aber auch sagen, dass die strenge Auslegung der Regel den Gruppenprozess schützen soll.

Dieser Punkt ist also nicht eindeutig.

Große Opfer und Hingabe

Ein entscheidendes Merkmal einer Sekte ist das Drängen zur Abgabe von Ressourcen oder persönlichen Opfern. Spenden, fianzielle Beiträge, sexuelle Dienste, Ausnutzen von Arbeitsleistung oder Überschreibung von Eigentum.

All das ist beim Ehrlichen Mitteilen nicht zu finden. Die lokalen Gruppen und die Anleitung sind grundsätzlich kostenfrei.

Geheimhaltung

Häufig werden eingeweihten in Sekten bestimmte Lehren oder Praktiken beigebracht, die nicht an Außenstehende übermittelt werden dürfen. Das ist beim EM nicht der Fall.

Auf der anderen Seite gibt es eine Form von “Geheimhaltung” beim Ehrlichen Mitteilen: man redet nicht über die Mitteilungen der anderen Mitglieder. Doch das hat natürlicherweise etwas mit dem Schutz der Privatssphäre zu tun und nicht mit einer kultartigen Geheimhaltung.

Dementsprechend fällt EM nicht in diese Kategorie.

Absolute Loyalität

Mitglieder in Sekten werden meist ermutigt, oder gar gezwungen, dem Führer und der Gruppe absolut zu verschreiben. Es wird vollständige Loyalität erwartet, unabhängig von den Bedürfnissen, Wünschen, Gefühlen und Erfahrungen des Mitglieds.

Beim Ehrlichen Mitteilen in lokalen Gruppen kann man in aller Regel kommen und gehen, wann man möchte. Loyalität wird nicht erwartet und auch nicht kommuniziert.

Kontrolle über das Leben

In vielen Sekten ist es üblich, dass das gesamte Leben des Sektenmitglieds unter Kontrolle des Sektenführers und seinen Gehilfen steht: Ernährung, Bekleidung, Wohnsitz, Freizeitaktivitäten, Arbeitsplatz, usw.

Beim EM in Gruppen könnte man theoretisch sogar anonym teilnehmen. Ein Eingreifen in das private Leben findet zu keiner Zeit statt.

Gefühl der Auserwähltheit

Den Mitgliedern von Sekten wird häufig suggeriert, dass sie Teil einer auserwählten Gruppe seien. Dass die Sektenarbeit einen Einfluss auf das Geschehen der Welt hätte. Sei es auf spiritueller, geistlicher oder weltlicher Ebene.

Das ist beim EM nicht der Fall. Auch wenn Gopal davon spricht, dass sich das Weltgeschehen durch Ehrliches Mitteilen verändern würde, kann man nicht davon sprechen, dass den Anwendern das Gefühl gegeben wird, zu einer auserwählten Gruppierung zu gehören, die die Welt rettet.

Endzeitglaube

Weiteres Merkmal von Sekten ist ein apokalyptischer Glaube. Den Mitgliedern wird kommuniziert, dass sie in der Endzeit eine entscheidende Rolle spielen oder als einzige überleben oder gerettet werden.

Dieser Punkt trifft auf das Ehrliche Mitteilen nicht zu.

Rekrutierung neuer Mitglieder

Die Mitglieder von Sekten werden in der Regel dazu aufgefordert, neue Mitglieder zu rekrutieren. Dafür gibt es meist eindeutige Prozesse und es wird mit psychologischen Methoden gearbeitet. Die Verletzlichkeit und Not von Menschen wird ausgenutzt.

Eine solche Praktik ist mir beim EM nicht bekannt.

Dichotomes Denken

Wir gegen sie! Schwarz und Weiß! Das Denken in absoluten Gegensätzen ist ein weiteres Merkmal von Sekten.

Beim Ehrlichen Mitteilen werden (u.a.) Gedanken ausgetauscht und alle Gedanken dürfen da sein. Es wird keine Denkvorgabe gegeben.

Außerdem wird idiologisch eher ein globales Miteinander, als eine Spaltung gefördert.

Emotionale Manipulation

Ein weiteres Kernmerkmal von Sekten ist, dass die Mitglieder mit Emotionen zu einem bestimmten Verhalten oder Unterlassen hin manipuliert werden: Scham, Schuld, Angst, usw.

Außerdem kann mit psychologischen Techniken eine emotionale Abhängigkeit erzeugt werden.

All das findet beim EM nicht statt. Gefühle werden im Gegenteil offen und ohne Einschränkung kommuniziert.

Große Gruppenkohäsion

Durch regelmäßige Gruppenrituale und Einschwörungen wird die Zugehörigkeit zur Gruppe statuiert.

Solche Praktiken gibt es beim Ehrlichen Mitteilen nicht. Eher ist es so, dass eine Abnablung von der Gruppe in der Regel organisch passiert, wenn sich der Mensch stabil und reguliert fühlt.

Abgrenzung von etablierten Systemen

Die Sekte versteht sich normalerweise abgespalten von anderen Systemen, wie Gruppierungen oder Glaubensgemeinschaften.

Das ist beim EM ebenfalls nicht der Fall. Theoretisch könnte man parallel in Vereinen, NGO’s, religiösen Gemeinden, Parteien, usw. tätig sein, ohne, dass es mit dem Ehrlichen Mitteilen in der lokalen Gruppe kollidieren würde.

Veränderung der Persönlichkeit

Wenn ein Mensch Mitglied in einer Sekte wird, bemerkt das Umfeld häufig eine starke persönliche Veränderung. Das kann auch beim Ehrlichen Mitteilen der Fall sein. Deswegen sollten wir uns genauer anschauen, wie sich Menschen in Sekten tendenziell verändern und wie es beim EM eher der Fall ist.

Häufigere Veränderungen der Persönlichkeit beim EM:

  • ruhiger, gelassener

  • ehrlicher und offener

  • Veränderung in der Form der Kommunikation (direkter, expliziter)

Häufige Veränderungen der Persönlichkeit in einer Sekte:

  • Veränderung von Grundüberzeugungen und Weltansichten

  • Annahme einer absoluten Idiologie

  • Anpassung an Gruppennormen

  • verminderte Selbstständigkeit, Identität nur noch als Mitglied der Sekte

Eindeutig finden wir in diesem Punkt kein Merkmal dafür, dass Ehrliches Mitteilen eine Sekte ist.

Gehirnwäsche und Gedankenkontrolle

Durch Techniken, wie das Wiederholen von Slogans, Schlafentzug oder empfindliche persönliche Opfer, kann in Sekten eine Indoktrination initiiert werden.

Außerdem können Methoden wie MK-Ultra (antizyklische Bestrafung und Anerkennung) zur Gedankenkontrolle eingesetzt werden.

Beim Ehrlichen Mitteilen ist nichts von dem zu finden.

Endgültigkeit und Ausschließlichkeit von Gruppenansichten

Den Gruppenmitgliedern wird dargelegt, dass die Ansicht der Sekte der einzige Weg zu einem bestimmten bedeutenden Ziel sei:

  • Wahrheit

  • Erlösung

  • Rettung

  • usw.

Das Ehrliche Mitteilen versteht sich nicht in diesem Sinne.

Verbote

In Sekten gibt es häufig eine strenge Kontrolle des Informationsflusses. Bestimmte Medien können z.B. mit einem Verbot belegt sein.

Im EM werden keine derartigen Verbote ausgesprochen.

Fazit: Ist Ehrliches Mitteilen eine Sekte oder nicht?

Von 19 Attributen einer Sekte treffen:

  • 17 eindeutig nicht auf das Ehrliche Mitteilen zu

  • 2 eingeschränkt, je nach Sichtweise, auf EM zu

  • 0 eindeutig auf EM zu

Dementsprechend ist zu konkludieren, dass Ehrliches Mitteilen nach Gopal Norbert Klein sicher keine Sekte ist.

Meiner Einschätzung nach kann man die Praktik in 2er, 3er oder Gruppen-Settings bedenkenlos durchführen.

Alexander Bohley

hilft Menschen aus Bindungs- und Entwicklungstrauma

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